Mittwoch, September 17, 2014

Azad ft. Julian Williams, Alle Mann



Der Schnitt ins Fleisch
»Ich wüsste nicht, würde ich Wunden hinterlassen«, sagte er.
Vielleicht hat er wirklich nicht gepeilt, wo der Maurer das Loch gelassen hatte. Seine großen Reden über die Menschen, die Fehler und die Lügen würden nie vergessen. Ein Kamel kommt meist, wenn Gras über etwas gewachsen ist, frisst es weg und sieht zu, wie Spekulationen gedeihen.
»Es ist, wie es ist«, sagte sie.
Gestern habe ich einem 91 Jährigen die Windeln gewechselt, danach war ich bei einer 80 Jährigen, die wollte noch etwas Tee für die Nacht. Irgendwann landen die Alten alle in einem Heim, es sei denn, sie krepieren vorher. Ob das Glück wäre? Ich schaue mir diese faltigen Gesichter an und habe mehr von denen gesehen als die Tochter, der Sohn oder der beste Freund. Mein Job macht nicht immer Spaß, ich verdiene damit mein Geld.
»Deine Einstellung ist die falsche«, sagte er.
Ausgerechnet der, der sagte, er würde nicht wissen, ob er Wunden hinterließe. Ich habe schon Hamster mit dickeren Backen gesehen. Irgendwann letzte Woche kam mir ein alter Bekannter entgegen, er fragte:
»Wie geht es deinem Dad?«
»Gut«, log ich.
Vielleicht war es auch die Wahrheit. Was weiß denn ich, wie es ihm da geht, wo er jetzt ist, wenn er irgendwo ist, außer in seiner Urne. Ich denke wieder mehr an Joints. Luft ablassen, kommen lassen, was kommt. In Rauch aufgehen. Einfach entspannen. Ich verschiebe es zurzeit immer aufs Wochenende. Kollegen bringen Bier mit, auch härteren Alk. Wenn mein Schichtdienst nicht wäre. Man Dad. Zeit ist meist, was ich nicht genug habe. Ausschlafen will ich nicht. Ich könnte was verpassen. Einem was aufs Maul hauen, wie früher. Gedankenliche Abfolgen.
»Was is mit dir, du Opfer?«
Halbzeit. Cut. Ich wünsche mir den Tod für dich. Wünsche mir, dass du auch nicht zur Ruhe kommen darfst. Stehe als Sonne im Asphalt und könnte dir den Arsch aufreißen. Halbzeit. Cut.
»Opfer.«
Und dann?
Gibt es so Momente, da sehe ich uns wieder auf dem Friedhof, wie wir alle im Gänseschritt hinter den Trägern der Urne hergingen. Es war so ruhig. Das gehört sich so. Als endlich sein Name auf dem Stein stand, als der Stein endlich da war, was über drei Monate gedauert hat, standen wir davor und machten Fotos. Vorher war mir nie klar, dass er wirklich nicht mehr wiederkommt. Vielleicht wird es EUCH auch mal klar.
»Ich wüsste nicht, würde ich Wunden hinterlassen«, sagte er.
Die Antwort ist überflüssiger als Sackratten. 2014 © Martin Holt

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